Die Leitung einer Säuglings- beobachtungsgruppe ist eine komplexe Aufgabe. Zum einen geht es im Rahmen der Aus- und Weiterbildung um eine intensive Lernerfahrung, welche die Teilnehmer:innen ganz unter- schiedlich verkraften. Zum anderen gilt es, die unbewusste Rolle, die der Beobachter:in in der Begegnung vom Baby und von seiner Familie zugeschrieben wird und alles, was während der Begegnung geschieht, möglichst genau zu verstehen. Zum dritten geht es um gruppen- dynamische Prozesse in der Arbeitsgruppe, die angestoßen durch das Beobachtungsmaterial, den Stand der Gruppenentwicklung und die Position des Seminars innerhalb des Instituts aufkommen können.
Im vergangenen Jahr haben wir uns mit dem Anfang der Beobachtung und den damit verbundenen bewussten und unbewussten Erwartungen der Eltern an die Beobachter*in und die Beobachtung befasst, die bereits im Erstgespräch vor der Geburt des Kindes auftauchen. In diesem Jahr steht die Geburt im Mittelpunkt. Sie beendet das Leben in der intrauterinen Welt der Kontinuitäten und eröffnet die nachgeburtliche Welt der Diskontinuitäten. Wir verstehen die Geburt als erste Trennung der Mutter-Kind- Einheit und zugleich ist sie ein Ereignis, das wie ein Scharnier beide Welten und Personen verbindend, als Modell für auseinander- gehen/kommen, sich-trennen im weiteren Lebensverlauf wirkt. Wir wollen Spuren aus der Pränatalzeit und dem Geburtsverlauf in den ersten Lebenswochen, in der die gegenseitige Abhängigkeit am größten ist, aufsuchen und uns damit befassen, wie sie Mutter (Vater) und Kind und die Beziehungen beeinflussen. In diesem Jahr werden wir deshalb Protokolle aus den ersten Lebenswochen besprechen.
Im Schwerpunkt soll es bei der diesjährigen Tagung um das Ende der Beobachtung – den Abschied von der Beobachterfamilie gehen. Während der 1 – 2 jährigen Beobachtung wachsen zwischen der Familie und ihrer Beobachter*in Verbindungen, ähnlich denen in Psychotherapien. Wie können die mit Loslösung und Auseinandergehen verbundenen Gefühle und Phantasien aufgenommen und verstanden werden? Wie kann die Realität von Abschied und Trennen zum entwicklungsfördernden Prozess werden?
Vortrag: Zum Ende der Beobachtung von Gisela Klinkwort (ehemals Ermann)/München, Co-Referat Agathe Israel/Berlin , Klein-und Großgruppensitzung
Veröffentlichungen: Aulbert, Salamanca, Treier: Säuglingsbeobachtung nach der Methode von Esther Bick- Über die Schwierigkeit einen guten Ort zwischen emotionaler Nähe und Distanz zu finden . In : psychoanalytische Säuglingsbeobachtung und Säuglings-Kleinkind-Eltern-Pschotherapie, Hrg.: Gabriele Häußler 2015, Brandes&Apsel
Die Säuglingsbeobachtung nach der Methode von Esther Bick und die damit verbundene Supervisionsarbeit in der Gruppe sind eine naturalistische Feldforschungsmethode. Beobachtende lernen sich als „Schlüsselinstrument“ kennen, indem sie nicht nur frühe Kommunikation und Gefühlszustände aufnehmen, reflektieren und mentalisieren, sondern ihre Position als Dritte innerhalb des familiären Systems untersuchen und lernen sich als beobachtendes und beobachtetes Objekt wahrzunehmen. Wie die Familie mit Beobachtenden als Personen und als Repräsentanten der Dritten Position umgeht, wie sie – im Sinne Winnicotts „gebraucht“ werden – kann sehr unterschiedlich sein. Jedoch immer befördert die triadische Konstellation der Säuglingsbeobachtung emotionale Entwicklungsprozesse. Der Fokus der Beobachtung und der Supervision richtet sich deshalb nicht nur auf die Dyade, sondern immer auch auf die frühen triadischen Inszenierungen, die, sobald sie mit Hilfe der Seminargruppe durchdacht werden, den triangulären Entwicklungsraum sichtbar machen.
Vortrag: „Wie das Baby und seine Familie die Beobachter*in im Laufe der Säuglingsbeobachtung erlebt und gebraucht – eine Analyse von 2-jährigen Beobachtungsverläufen“ Agathe Israel/Berlin, Co-Referat Peter Bründl /München
Die Tagung wird mit einem Gedenken an Ross A. Lazar durch Michael Poweleit/Berlin eröffnet und mit einer Großgruppe mit graphic recording zum Thema „Material – Gruppe- eigene Erkenntnis“ beendet.
Wie das Baby der Eltern bedarf, um in der Welt anzukommen, braucht der Beobachter den Supervisor und die Seminargruppe, um seine neue Aufgabe kennenzulernen und sich in ihr sicher zu fühlen. Auf der letzten Tagung wurde darüber nachgedacht, was die Supervisoren den Beobachtern mit auf den Weg geben. Einige wenige Regeln können auf unbekanntem Terrain Orientierung schaffen ohne einzuengen und ohne die eigene Erfahrung zu behindern. Beginnt die gemeinsame Arbeit in der Seminargruppe wenn das Baby da ist oder schon vorher? Wie viel theoretisches Wissen ist bereits im Vorfeld erforderlich? Wie kann es gelingen, dass sich die Gruppe zu einer Arbeitsgruppe entwickelt, die ihre Aufgabe, zu beobachten ohne zu bewerten, erfüllen kann, ohne die dabei auftauchenden heftigen Gefühle auszuklammern? Wie kann der „Verdauungsprozess“, der beim Beobachten selbst, beim Protokollieren, in der Gruppendiskussion und schließlich im Gruppenprotokoll stattfindet, gestaltet und begleitet werden?
Einführungsreferat von Petra Aulbert, Agathe Israel, Rita Stockmann, Ulrike Treier/Berlin
Workshop 1 Zur Qualifizierung zur SupervisorInnen
Workshop2 Die Aufgabe des Supervisors bei der Suche nach einer Familie.
Im Gegensatz zum mechanischen Auge einer Kamera „sieht“ der Beobachter mit einem lebendigen Auge und tritt mit seiner eigenen inneren Welt – ihren bewussten und unbewussten Anteilen – in Kontakt mit dem Baby. Das macht jede Beobachtung einzigartig. Dieser Kontakt wird im Protokoll beschrieben und wiederum von einer einzigartigen Supervisionsgruppe besprochen. Wir möchten darüber nachdenken, was im Verlauf dieses Prozesses geschieht. Wie kann es gelingen, die inneren Welten von Baby und Beobachter voneinander zu unterscheiden und gleichzeitig etwas von dem zu erfassen, was durch diese besondere Begegnung entsteht?
Eröffnungsplenum: Arbeit an einer ausgewählten Beobachtungsszene durch Agathe Israel, Petra Aulbert, Ulrike Treier/ Berlin
Workshop 1: Über die Beendigung der Beobachtung
Workshop 2: Bedeutung und Besonderheiten des zweiten Beobachtungsjahres.
Auseinandersetzung mit Themen, die mit dem Begriff der Abstinenz beschrieben werden können, z.B. Fragen wie: „Spreche ich die werdenden Eltern mit Du oder Sie an“; „Soll ich Essen und Getränke annehmen?“; „Was mache ich, wenn ich nach konkreten Ratschlägen gefragt werde?“; „Was mache ich, wenn ich plötzlich zum Babysitter gemacht werde?“ usw. Einerseits sind für diese Situationen klare Regeln aufgestellt. Andererseits kann es in der Beobachtungsarbeit nicht darum gehen, diese Regeln als rigide Vorschriften zu begreifen und entsprechend umzusetzen. Wenn die Regeln jedoch in ihrer Bedeutung verstanden sind, können sie in guter Weise zu einer inneren Haltung werden.
Vortrag: Abstinenz als Norm oder innere Haltung?
Agathe Israel, Petra Aulbert, Ulrike Treier/Bln.
Workshop 1: Facetten der Abstinenz im Verlauf der Beobachtung
Workshop 2: Der Faktor Zeit in der Beobachtung: Dauer der Beobachtung (1 Jahr oder 2 Jahre, Häufigkeit der Supervisionen, Dauer der Gruppensitzung.
Der bedeutende Einfluss der Beobachtungserfahrung auf die analytische Haltung und auf die spätere therapeutische Arbeit soll untersucht werden. Die erste Begegnung mit der Familie enthält – ebenso wie der Erstkontakt mit einem Patienten – in verdichteter Form die inneren Themen und Dramen mit denen die Familien in dieser besonderen Situation beschäftigt sind. Sie können zu diesem Zeitpunkt noch nicht in der Tiefe ihrer Bedeutung verstanden werden, entfalten sich aber im Verlauf der Beobachtung bzw. Behandlung.
Eröffnungsplenum mit Podiumsdiskussion: „Kann in dieser Familie beobachtet werden?“
mit Gisela Ermann/München,Ross Lazar/München, Suzanne Maiello/Rom.
In den Workshops am Ende der Tagung wurden Fragen zum Setting und zu dem Rahmen der Beobachtung eingehender diskutiert.
In der Gruppensupervision können wir das Zusammenwirken von „Sequentialität“ und „dream work“ in der Beobachtung untersuchen. Bei der Sequentialität entsteht die Bedeutung durch die zeitliche Abfolge, beim „dream work“ durch das intuitive Einstimmen auf die beobachtete Szene. Erst im Zusammenkommen beider Qualitäten (Koinzidenz) kann Tiefe und ein Gefühl von Wahrheit entstehen, das besonders dann lebendig werden kann, wenn die BeobachterIn mit ihrer Stimme anwesend ist.
Vortrag von Dr. Suzanne Maiello/Rom
Ein wesentliches Element der Beobachtung ist die Niederschrift des Stundenprotokolls. Beobachtetes möglichst genau zu beschreiben, vom eigenen Erleben abzugrenzen und der Versuchung vorschnellen Deutens zu widerstehen bedarf großer Aufmerksamkeit, aber auch innerer Bescheidung.
Vortrag von Dr. Suzanne Maiello/Rom
Dabei stellen die Suche nach einer guten Balance zwischen Nähe und Distanz sowie die Entmischungsarbeit der Gefühle des Beobachters von der des Babys eine besondere Herausforderung dar.
Auch Lehrer und Erzieher können – wie die Erfahrung zeigt-, durch diese Art des Lernens ihre Wahrnehmung für emotionale Befindlichkeiten ihrer Schüler erhöhen und klarer intervenieren.
Vortrag von Dr. Suzanne Maiello /Rom